Demokratisches Buergerforum Ueberwald
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Der Mutbürger
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Ausgabe 1/2015
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Der zweite Mutbürger - Ausgabe 1/2015 - Seite 9 - Ehrenamt oder Job ohne Lohn?
Sich kritisch gegenüber dem „Ehrenamt“ zu äußern ist ein heißes Pflaster. Schnell wird Kritik als Angriff auf engagierte Bürger ausgelegt. Niemand mag jene kritisieren, die ihre Zeit unentgeltlich in den Dienst der Gesellschaft stellen. Doch manches ehrenamtliche Projekt hilft dort, wo eigentlich der Staat zuständig ist. So ist es wichtig zu betonen, dass die Kritik sich in keinem Punkt gegen aktive Bürger wendet, ohne die letztlich jeder Verein aufgeschmissen wäre. Die Kritik richtet sich eindeutig gegen eine in den letzten Jahren von einer übertriebenen Sparpolitik geprägte „nationale Engagementsstrategie“, eine Strategie, die auch beim Thema Flüchtlingsbetreuung wieder deutlich wird.
Rund 21500 Flüchtlinge, die aus den Krisen- und Kriegsgebieten der Welt nach Hessen kommen, werden größtenteils von ehrenamtlichen Helfern hauptamtlich betreut, unterstützt, ja, ich würde sogar sagen, versorgt. Das ist auch gut und mehr als erfreulich, doch dass unser hessischer Ministerpräsident Bouffier sich damit brüstet, rühmt und meint, Lobhudelei wäre den unzähligen Helferinnen und Helfern eine hilfreiche Unterstützung, ist verfehlt und nichts anderes als Ausbeutung durch die Hintertür. Anstatt Jobs für diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu schaffen, wird stolz die ehrenamtliche Infrastruktur angepriesen. Doch dass diese Infrastruktur stellenweise nicht mehr als notdürftig ist, dass diese gelobte Infrastruktur löchrig ist wie ein Schweizer Käse und dass der Aufbau und Erhalt dieser sogenannten Infrastruktur im wahrsten Sinne auf Kosten und mancherorts an die Substanz von Ehrenamtlichen geht, ja, davon redet keiner, macht sich nicht gut in der Presse und lässt Politiker schlecht ausgeleuchtet im selbst kreierten Rampenlicht stehen. Es gibt inzwischen zahlreiche Namen für die „bürgerschaftliche“, „freiwillige“ soziale Arbeit. Sie alle dienen nur dem Ziel, die soziale Versorgung – trotz massiver Kürzungen – sicherzustellen und Lücken zu kitten. Ob im Pflegebereich oder sogar im Bereich des Polizeidienstes, überall blüht die Staatsversion des Ehrenamtes.
Man glaubt es kaum, Viernheim beschäftigt tatsächlich für eine geringe Aufwandsentschädigung Polizeihelfer und -helferinnen, die in ihrer Freizeit bis zu 25 Stunden im Monat eingesetzt werden können und sogar zur Identitätsfeststellung berechtigt sind. Oder nehmen wir als Beispiel die Tafeln, die vor sage und schreibe 20 Jahren ihren Ursprung haben. Heute ist aus der Initiative eine bundesweite Organisation geworden, die von mehr als 50.000 ehrenamtlichen Helfern getragen wird. Der Bedarf wird gedeckt, der Staat ist fein raus, und das seit ungelogen 20 Jahren. Eigentlich peinlich für ein reiches Land wie Deutschland.
Es ist leider so, Museen, Theater, Opern, Büchereien könnten zumachen, wenn die Ehrenamtlichen sich nicht engagieren würden, und gerade in den Kommunen dient die Ausdehnung von „Patenschaften“ oft als Lückenfüller, um z. B. das Ortsbild zu verschönern. Warum das so ist, lässt sich einfach erklären, denn aufgrund der chronisch leeren Kommunalkassen werden Teile des Versorgungsauftrages des Staates nicht von bezahlten Arbeitskräften, sondern von ehrenamtlichen erfüllt. Die Ausweitung der Ehrenamtsstrategie haben wir einer falschen Sparpolitik zu verdanken. Das Engagement Ehrenamtlicher ist zwar ohne Frage von gesellschaftlicher und sozialer Bedeutung, dennoch ist es nicht zu akzeptieren, dass eine vom auferlegten Sparzwang getriebene Politik davor kneift, nachhaltige Lösungen für soziale und kulturelle Probleme zu finden.
Die Arbeit für 0,00 € kann auch nur dann erwartet werden, wenn die eigene Existenz gesichert ist, d. h., wenn sie oder er von seiner Hände Arbeit gut leben kann.
Nur dann ist ehrenamtliches Engagement überhaupt eine Option und ist das was es sein sollte: Eine gute, nützliche Tätigkeit inder Freizeit zum Wohle der Gemeinschaft,zur Schaffung eines breiten Angebotes für unterschiedlichste Interessen. Der Aufruf „ehrenamtliche Helfer gesucht“ sollte kritisch hinterfragt werden, insbesondere, da dies auf Kosten der vielen Arbeitslosen geht und die Politik aus ihrer sozialen Verantwortung entbunden wird.