Der Hirnforscher Gerald Hüther erklärt, warum im Grunde jedes Kind hochbegabt ist – und warum Langeweile mehr bringt als exzessive Frühförderung mit Französischkurs im Kindergarten.
Die Welt: Sie sagen das, was Eltern jeder Couleur gerne hören. Ihr Kind ist hochbegabt! Ist das nicht übertrieben, ja geradezu schmeichlerisch?
Gerald Hüther: Nein. Kinder bringen eine Vielzahl von Anlagen mit, Vernetzungsoptionen im Gehirn, die besondere Begabungen bedingen. Nur ein geringer Bruchteil davon wird realisiert. Die meisten Eltern finden nie heraus, ob ihr Kind ein toller Tüftler, begnadeter Tänzer oder großer Entdecker werden könnte. Sie schauen nur mit dem besorgten Blick des Vaters, der Mutter und fragen, ob das Kind denn früh genug läuft, spricht und später gut in der Schule ist. Für Kinder ist es eine unendlich traurige Erfahrung, wenn nicht gesehen wird, was wirklich in ihnen steckt.
Die Welt: Jeder von uns hätte ein Mozart, Einstein, Picasso werden können, wenn er andere Eltern, andere Lehrer gehabt hätte?
Hüther: In gewissem Sinne ja. Hochbegabung bedeutet aber mehr als Leistungen für die Geschichtsbücher oder gute Schulnoten. Beides ist ohnehin relativ. Mozart, Einstein und Picasso wären von Amazonas-Indianern oder australischen Aborigines wohl kaum als hochbegabt anerkannt worden. Paul Cézanne wurde von der Kunstschule abgelehnt, Thomas Edison war Schlusslicht in der Klasse. Ein Kind ist auch dann hochbegabt, wenn es besonders einfühlsam ist, kreativ oder beharrlich. Und sollte ein Junge, der extrem gut auf Bäume klettern kann, minder begabt sein wie ein Gleichaltriger, der komplizierte mathematische Aufgaben löst? Wir müssen lernen, Kinder in ihrer wunderbaren Einzigartigkeit wahrzunehmen, damit bei den Kleinsten anfangen............................................................. ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Hüther: Schule müsste komplett neu organisiert, neu gedacht werden. Aber ich denke, dass Schule schon in sechs Jahren ganz anders sein kann als heute. Wir müssen nicht warten, bis sich die Vorgaben von oben ändern. Eltern müssen sich mit Lehrern verbünden, die häufig genauso frustriert von dem System sind wie sie selbst.
Wenn sich Eltern, Lehrer und Schulleiter vor Ort zusammentun und gemeinsam überlegen, wie die Schule an die Bedürfnisse der Schüler angepasst werden kann, wird sie kein Kultusministerium halten können. Wenn sich engagierte Bürger zusammentun, gelingt ja auch so etwas wie die Wiedervereinigung oder der "arabische Frühling".....................................................
Als Professor für Neurobiologe leitet er die Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen und des Instituts für Public Health der Universität Mannheim/Heidelberg. Wissenschaftlich befasst er sich u. a. mit den Wirkungsmechanismen von Psychopharmaka, mit dem Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, mit den Auswirkungen von Angst und Stress und der Bedeutung emotionaler Reaktionen bei Lernprozessen und der neurobiologischen Verankerung von Erfahrungen.
Man kann nach Abraham Lincoln alle Menschen einige Zeit und einige Menschen alle Zeit, aber nicht alle Menschen alle Zeit zum Narrenhalten!