Bildquelle: www.ausgestrahlt.de Jürgen Schmid, Experte für Energiesystemtechnik und Umwelt-Berater der Regierung, über Gaskraftwerke im Keller und die Möglichkeit, alle 17 Atomkraftwerke sofort abzuschalten.
Kein Atomkraftwerk ist sicher. Wenn wir noch dieses Jahr alle abschalten – sitzen wir dann im Dunkeln?
Ganz sicher nicht. Es gibt noch viel Reservekapazität. Ohne die AKW würden unsere Strom-Exporte zurückgehen. Für eine kurze Übergangszeit müsste man ein paar bereits abgeschaltete fossile Kraftwerke wieder anfahren. Das ist zwar ein unschöner Effekt. Aber wenn wir die erneuerbaren Energien zügig vorantreiben, werden die Emissionen nicht sehr relevant. Zumal wir parallel neue gasbasierte Kraftwerke bauen werden, die wir später sowieso brauchen, um die Schwankungen bei den erneuerbaren Energien auszugleichen. Das kann man in fünf Jahren realisieren.
Was braucht es, um den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen?
Andere Randbedingungen. Die wichtigste erneuerbare Energie ist zweifellos der Wind. Er ist die preiswerteste Quelle, die noch deutlich ausbaubar ist. Onshore, also an Land, entwickelt sie sich zur Zeit aber nur verhalten. Das liegt hauptsächlich an Genehmigungsfragen wie Höhenbegrenzungen, Abstandsvorschriften, viel zu kleinen Windvorranggebieten und so weiter. Da müsste man massiv etwas ändern.
Mit Windkraft wollen Sie 17 AKW ersetzen?
Das ist nicht so schwer. Ohne Atomkraft fehlen uns etwa 120 Terawattstunden Strom im Jahr. Um die zu ersetzen, müssten wir etwa 60 Gigawatt an Windturbinenleistung installieren. Wenn wir uns dafür zehn Jahre Zeit ließen, wären das sechs Gigawatt Zubau im Jahr. Das ist eine völlig harmlose Zahl. Die Industriekapazität ist da. Das ließe sich leicht noch übertreffen. Wie sieht es mit den Netzen aus?
Natürlich müssten auch die konsequent ausgebaut werden. Aber auch da gibt es zunächst keinen Engpass, wenn man intelligente Netze verwendet. Die könnten, wenn sie zu überlasten drohen, die Leistung der Windturbinen etwas reduzieren.
Für eine funktionierende Stromversorgung muss man den Strom aber auch genau dann produzieren, wenn er nachgefragt wird.
Das wird die große Zeit der gasbasierten Kraftwerke sein. Viele wissen gar nicht, wie viele es davon schon gibt. Da wird gar nicht darüber gesprochen. Wir haben schon jetzt 20 Gigawatt installierte Leistung in Kraft-Wärme-Kopplung, vom großen Gaskraftwerk bis zu Kleinstanlagen im Keller. Alle diese Anlagen laufen bisher in der Regel dann, wenn die Wärme gebraucht wird. Das muss man umstellen. Wenn wir dann über ein intelligentes Netz Zugriff auch auf die kleinen und Kleinstanlagen haben, dann bilden diese ein riesiges virtuelles Kraftwerk, dass Schwankungen bei Angebot und Nachfrage lange Zeit ausgleichen kann.
Versorgungssicherheit dank Tausenden von Blockheizkraftwerken in irgendwelchen Kellern?
Genau. Das wird übrigens in Dänemark so ähnlich schon praktiziert. Dort wird 50 Prozent des Stroms über Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt, allerdings in relativ großen Anlagen. Die müssen sich heute schon per Gesetz nach der Strombörse richten. Das hat dazu geführt, dass Wärmespeicher eingebaut wurden, die Strom- und Wärmebedarf gewissermaßen entkoppelt haben. Wir haben dort den Beweis, dass das sehr gut funktioniert.
Es gibt Energie-Experten, die vor Problemen in Spitzenlastzeiten warnen, sollten alle AKW sofort vom Netz genommen werden.
Die Spitzenlast tritt in der Regel im Winter auf, Ende Dezember. Und dabei geht es nicht um Tage, sondern nur um ein paar Stunden. Alle AKW zusammen können dann im Übrigen auch nur höchstens 20 Gigawatt beitragen. Die Kraft-Wärme-Kopplung hat ebenfalls 20 Gigawatt installierte Leistung. Das heißt, wenn es gelingt, diese Anlagen bei Bedarf alle einzuschalten, dann können sie bei jedem Wetter die Atomkraft vollständig ersetzen.
Könnte man in Spitzenlastzeiten nicht auch die Nachfrage drosseln?
Natürlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn man das richtig macht, können wir allein über die Nachfrageseite weitere acht bis 16 Gigawatt regeln. Wir haben das bei uns im Labor ausprobiert: Das geht automatisch und völlig problemlos. Die Spitzenlast lässt sich damit um bis zu 20 Prozent reduzieren.
Indem ein Computer entscheidet, wann meine Waschmaschine läuft?
Zunächst geht es um die elektrischen Warmwasserboiler und die Umwälzpumpen. Erst dann kommen die Küchengeräte. Aber auch der Kühlschrank kann etwas beitragen.
Was würde ein Sofortausstieg für die Strompreise bedeuten?
Der Bau von 60 Gigawatt Windleistung erfordert etwa 60 Milliarden Euro. Aber das ist ja eine Investition in eine Energiequelle, die keine Brennstoffkosten mehr verursacht. Die Mehrkosten zum bisherigen System sind deswegen marginal.
Die Grünen fordern seit Fukushima einen Atom-Ausstieg bis 2017, selbst Umweltverbände nur bis 2015. Was ist da los?
Nach meiner Einschätzung wird das Potenzial der gesteuerten Kraft-Wärme-Kopplung von allen diesen Szenarien schlicht noch nicht erkannt.
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmid ist Leiter des Kasseler Institutsteils des Fraunhofer Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.
__________________________________________________________________________ - Stefan Werner ist Vorstandsmitglied des Vereins "Demokratisches Bürgerforum Überwald" -