Das Wahlrecht zum Bundestag soll geändert werden. Damit wollen CDU und FDP auf ein spektakuläres Urteil des Bundesverfassungsgerichts reagieren, dass diese Reform erzwungen hat. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich der jetzt vorliegende Entwurf als unzureichend.
Schwerpunkt der Reform sind die Landeslisten. Jede Partei stellt für die einzelnen Bundesländer Listen auf. Bislang werden diese „verbunden“ ausgewertet; über die Stärke der Parteien zueinander entscheiden die Zweitstimmen. Unabhängig davon können mit der Erststimme Direktmandate gewonnen werden. Wenn das Verhältnis der per Erststimme geworbenen Direktmandate und den per Zweistimmen zustehenden Mandaten ins Ungleichgewicht gerät, kommt es bei der Auswertung zu Überhang- und Ausgleichsmandaten.
Kuriose Ergebnisse: Das Verfassungsgericht greift ein
Bei dieser Berechnung kann es kuriose Ergebnisse geben. So hatten in der Geschichte der Bundesrepublik mehrere Regierungen eine deutliche Mehrheit an Sitzen, die nicht dem Verhältnis der Zweitstimmen entsprach. Und als es 2005 zu einer Nachwahl in Dresden kam, wurden die Auswirkungen des „negative Stimmgewichts“ deutlich. Dort hätte die CDU ein Mandat in NRW verloren, wenn sie mehr als 41.226 Zweitstimmen bekommen hätte. Deswegen rief die Partei dazu auf, sie nur mit der Erststimme zu wählen – mit Erfolg. Allerdings urteilte am 3. Juli 2008 das Verfassungsgericht aufgrund eines Einspruchs gegen die Wahl: Es gab dem Gesetzgeber bis zum 30. Juni 2011 Zeit, ein besseres Wahlrecht vorzulegen.
Vorschlag von CDU/CSU und FDP
Die Wählerinnen und Wähler werden weiterhin zwei Kreuze machen. Bei der Auszählung werden allerdings die Bundesländer getrennt ausgewertet. Laut tagesschau.de soll dann folgendes Verfahren zur Anwendung kommen: „Die Reformpläne der schwarz-gelben Koalition sehen vor, die Überhangmandate beizubehalten. Die Parteien sollen aber künftig nicht mehr mit verbundenen Listen antreten. Eine Verrechnung oder Verschiebung der Mandate zwischen den Bundesländern wäre damit nicht mehr möglich. Die Fünf-Prozent-Hürde soll aber weiter bundesweit und nicht einzeln für jedes Bundesland gelten.“
Kritik an der geplanten Reform
Sowohl in der Opposition als auch bei Wahlrechtsexperten ist die Reform umstritten. SPD-Vertreter bemängeln die Tatsache, dass die Regierungsparteien die Änderung allein mit ihrer Mehrheit durchsetzen wollen – es gilt als allgemein üblich, diese sehr wichtige Frage über die Machtverteilung einvernehmlich zwischen allen im Parlament vertretenden Parteien zu regeln. Bereits 2005 war die CDU in Hamburg davon abgewichen und hatte mit einer absoluten Mehrheit ein per Volksentscheid erlassenes Wahlrecht im Alleingang geändert. Dieses Vorgehen ist schlecht für unsere Demokratie.
Viel schlimmer wiegen aber die Vorwürfe, die die Experten von Wahlrecht.de äußern. Ihnen zu Folge kann es mit dem nun vorliegenden Vorschlag weiterhin zu einem negativen Stimmgewicht kommen. Sie berechnen gerade, wie wahrscheinlich solche Fälle sind. Dann müsste letzten Endes wieder das Verfassungsgericht einschreiten.
Unverständlich ist, warum erst knapp zwei Monate vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist konkrete Vorschläge auf den Tisch kommen. Über dieses zentrale Thema wäre eine breite Debatte notwendig gewesen. Dann wäre es sicher möglich gewesen, ein passendes Wahlrecht für Deutschland zu entwickeln, dass es den Wählerinnen und Wählern ermöglicht, ihren Willen kundzutun – ohne dass dieser durch Auszählungstricks verfälscht wird. Diese Chance wird gerade vertan.
__________________________________________________________________________ - Stefan Werner ist Vorstandsmitglied des Vereins "Demokratisches Bürgerforum Überwald" -