Entscheidungen, Konzepte und Debatten zur Zukunft der Rente Von Gerhard Schröder, Deutschlandfunk
Nach geltender Rechtslage ist die Sache klar: Wenn zuviel Geld in der Rentenkasse ist, muss der Rentenbeitrag gesenkt werden. Insofern befindet sich die schwarz-gelbe Koalition auf der sicheren Seite, wenn sie Arbeitgeber und Beschäftigte zum Jahreswechsel kräftig entlasten will.
Dass sie den Verteilungsspielraum dabei voll ausschöpft, ist nicht verwunderlich - in einem Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt - da macht es sich gut, wenn man zuvor noch ein paar Wohltaten verteilen kann. Mehr Netto vom Brutto, ein altes schwarz-gelbes Wahlversprechen lebt wieder auf. Ob es aber auch von der Sache her klug ist, die gerade angehäuften Reserven schnellstmöglich wieder aufzulösen, ist eine andere Frage. Denn am Horizont ziehen längst dunkle Wolken auf.
Die Krise in den europäischen Nachbarstaaten hat längst auch auf die Exportnation Deutschland abgefärbt. Die Wirtschaft läuft nicht mehr rund, die Arbeitslosigkeit wird wieder steigen, die Zahl der Beschäftigten zurück gehen. Das wird auch dafür sorgen, dass die Einnahmen der Rentenversicherung spärlicher fließen werden. Nicht gerade der beste Zeitpunkt, um die gerade angelegten Fettpolster abzuschmelzen. Nicht nur, weil die Konjunktur sich abkühlt.
Tiefgreifender noch sind die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt. Auch das ein guter Grund, die Sicherheitsnetze zu verstärken, statt sie aufzuknüpfen. Weil wir immer älter werden und es an Nachwuchs mangelt, müssen in Zukunft weniger Beschäftigte eine steigende Zahl von Rentenempfängern finanzieren. Das heißt im Klartext: Die Rentenbeiträge werden spätestens Ende dieses Jahrzehnts sprunghaft ansteigen müssen. Und der Schock wird umso größer sein, je weniger Rücklagen dann noch vorhanden sind. Die Bundesregierung will davon aber nichts wissen.
Die Rentenversicherung ist keine Sparkasse, heißt das Leitmotiv der schwarz-gelben Koalition, was merkwürdig anmutet: Warum nur soll für die Rentenversicherung so absurd sein, was für künftige Ruheständler zwingend sein soll: Nämlich zusätzliche Reserven anzulegen. Die schwarz-gelbe Koalition tut genau das Gegenteil: Statt die Rentenversicherung für schwierige Zeiten zu wappnen, schwächt sie deren Finanzkraft. Und wiederholt damit einen Fehler, den schon die Vorgängerregierungen begingen. Auch die haben in ihrem Reformstreben stets allzu einseitig auf die Finanzierung der Renten geschaut. Ein Kernversprechen des Sozialstaats geriet dabei mehr und mehr aus dem Blick. Es lautet: Wer Jahrzehnte lang arbeitet und in die Rentenkasse einzahlt, der kann im Alter auf eine auskömmliche Rente vertrauen.
Ein Versprechen, das für viele nicht mehr gelten wird, Geringverdiener, die acht Euro pro Stunde verdienen, müssten 63 Jahre arbeiten, um eine Rente auf Sozialhilfeniveau ausgezahlt zu bekommen. Mit solchen Zahlen hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen die Öffentlichkeit aufgeschreckt - und die Dimensionen drohender Altersarmut kenntlich gemacht. Sie will die Renten von Geringverdienern, die lange eingezahlt haben, auf maximal 850 Euro aufstocken. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, sagt sie, den dürfen wir am Ende nicht zum Sozialamt schicken. Sonst verliert das Rentensystem seine Existenzberechtigung. In der Tat tut sich hier eine Gerechtigkeitslücke auf, die das Rentensystem auf Dauer nicht aushalten wird. Gut also, dass die Arbeitsministerin das Thema Altersarmut nun so vehement auf die Agenda setzt. Schade nur, dass sie nur bei den Symptomen ansetzt, nicht bei den Ursachen. Die finden wir am Arbeitsmarkt, in der Ausweitung des Niedriglohnsektors. Denn wer im Job wenig verdient, der bekommt im Alter auch eine geringe Rente - so lautet das Grundprinzip des Rentensystems.
Ein flächendeckender Mindestlohn wäre ein Mittel, um gegenzusteuern. Ansetzen müsste man aber auch bei den Reformen der vergangenen Dekade, die das Rentensystem bis zur Unkenntlichkeit demoliert haben. Immer wieder wurde an der Rentenformel gedreht, um die Rentenbeiträge im Zaum zu halten. Die Folge: Das Rentenniveau sinkt, von einst 63 auf 43 Prozent des Nettoeinkommens im Jahr 2030. Für das eingezahlte Geld bekommen Rentner künftig also immer weniger raus. Dies zu korrigieren, wäre nicht ganz billig. Aber auch nicht unfinanzierbar. Man müsste nur auf die gerade beschlossenen Entlastungen verzichten und die Rentenbeiträge schrittweise auf die bis 2030 anvisierte Marge von 22 Prozent anheben. Dann würde genug Geld in die Kasse fließen, um die Rente im Kern zu stärken. Insofern ist es mehr als ein kleinlicher Fehler, den die schwarz-gelbe Koalition in dieser Woche begangen hat: Es ist ein fataler Schritt in die falsche Richtung.
__________________________________________________________________________ - Stefan Werner ist Vorstandsmitglied des Vereins "Demokratisches Bürgerforum Überwald" -